Kategorie: Europa

  • Das Zeitalter der AGI

    Das Zeitalter der AGI

    Die neue KI konfrontiert uns mit einer Herausforderung, die an die Situation Japans vor 200 Jahren erinnert. Damals öffnete sich Japan unfreiwillig dem Westen. Das brachte Fortschritt und destabilisierte gleichzeitig die traditionelle Ordnung.

    Heute stellen uns LLM’s (large language models) mit nahezu menschenählichen Sprachverständnis und teils quasi universalem Wissen vor eine ähnliche Problematik. Länder wie die USA, China und die Emirate investieren gerade gigantische Summen. Stargate machte kürzlich die Runde in den News: Microsoft und openAI realisieren bis 2028 einen Rechenzentrumskomplex für 100 Milliarden Dollar. Zur Veranschaulichung: dessen Energieumsatz wird dem von Berlin, Hamburg, München und Leipzig zusammen entsprechen. 

    Parallel lässt der CEO von openAI, Sam Altman, nun vernehmen, der nächste gigantische Innovationssprung, die AGI (Artificial General Intelligence), stehe unmittelbar bevor. Das bedeutet, dass KI nicht nur kompetent assistieren könnte, so wie wir das jetzt gerade erleben, sondern dass sie schlagartig menschliches Wahrnehmen, Denken und Wissen in allen Bereichen übertrifft. Sobald diese lange schon diskutierte Singularität erreicht ist, müsste zudem die Lernfähigkeit der Systeme exponentiell zunehmen. Folglich wäre es nicht unzutreffend, diesen Augenblick als den Moment der Entthronung der ‚Krone der Schöpfung‘ zu bezeichnen. Eine Zeitenwende steht bevor.

    In den USA wird diese Entwicklung durch eine Politik der Deregulierung ohnehin beschleunigt. Unter der neuen Trump/Musk Administration wird das verstärkt zutreffen. Es ist denkbar, dass bis 2030 Effizienzsteigerungen von 20–25 % möglich sind, bis 2040 vielleicht bis zu 50 %. Gleichzeitig isolieren die USA und China ihre technologischen Vorteile zunehmend von der restlichen Welt.

    Europa hingegen setzt auf Regulierung, etwa um Umwelt oder Arbeitsplätze zu schützen, und investiert wesentlich geringere Summen in diese zentrale Technologie der neuen Zeit. Das ist eine nachvollziehbare, in gewissem Sinne ausgewogenere Position, aber sie uns mit großer Wahrscheinlichkeit wirtschaftlich weit zurückwerfen. In 30-50 Jahren könnte der Unterschied zu den USA und China ähnlich groß sein wie im 19. Jahrhundert der zwischen dem damals modernen Europa und den traditionellen Ländern Asiens – diesmal allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Um das zu vermeiden, müsste Europa entschlossen und geeint in den Battle einsteigen.

    Technologiefolgen

    Die Folgen dieser großen Disruption werden sich in allen Bereichen der Arbeit und des Lebens auswirken. Nehmen wir die größte Volkswirtschaft der EU als Beispiel:

    • Öffentlicher Sektor, Gesundheitswesen, Bildung, Einzelhandel und Energiewirtschaft: bei Effizienzsteigerungen von 20–30 % könnte jeder zehnte tätige Deutsche betroffen sein.
    • Fertigung und Logistik: Hier könnte sich die Effizienz sogar verdoppeln, was ca. 9 % der Arbeitsplätze der Republik betreffen würde.
    • Veränderungen bei Medien, Unterhaltung, Recht und Compliance könnten weitere 1,5 % der Gesamtbeschäftigten betreffen.

    Auch die IT-Branche wird von dieser Entwicklung überholt. Weltweit sind geschätzt 50-60 Millionen Menschen in dem Bereich tätig, in Deutschland sind es rund 1,5 Millionen. In einem per se so techno-afinen Sektor könnten in den nächsten 15 Jahren leicht 20–30 % eingespart werden – was etwa 1 % der werktätigen Deutschen entspräche.

    Die Entwicklung könnte in den nächsten 15 Jahren allein in Europa bis zu 50 Millionen Arbeitsplätze wegrationalisieren. Ob es am Ende 40 oder 60 Millionen sind ist natürlich weniger relevant als die Frage ob der Prozess 15 oder 50 Jahre dauert. Sicher ist, dass je länger er dauert, wir umso stärker abgehängt werden. Heute ist die durchschnittliche Arbeitsstunde in den USA bereits 17.5% produktiver als in der EU. Nehmen wir nur mal an, die USA würden im Lauf der nächsten 15 Jahre 50 Millionen Arbeitskräfte durch massiven Einsatz von KI einsparen und die EU würde das gleiche im eigenen Hoheitsgebiet komplett verhindern (was natürlich nicht denkbar ist), dann stiege die Produktivität der USA gegenüber der EU auf das Doppelte. Anders gesagt, verlieren wir – in diesem Vergleich und unter dieser Voraussetzung – mit jedem Jahr weitere gut 2 Prozentpunkte Effektivität und zwar gesamtwirtschaftlich, während China die USA durchaus noch toppen könnten.

    Als starke Nebenwirkung der Umwälzungen wird allerdings die Vermögenskonzentration weiter zunehmen, weil der Wert menschlicher Arbeit durch Überangebot sinkt, während KI-automatisierte Fertigungs- und Dienstleistungstechnologien expandieren.

    Es stellt sich die Frage, wie funktioniert eine Gesellschaft mit einer Perspektive, in der alle Ressourcen auf ganz wenige verteilt sein werden, die von den Möglichkeiten der Nutzung der Technologien direkt und exklusiv profitieren, während der Rest mehr oder weniger von der Wohlfahrt lebt? 

    Fragen wir eine KI, klingt die Antwort plausibel und eindeutig: ‚Eine Gesellschaft, in der Ressourcen und technologischer Zugang stark konzentriert sind, stellt enorme Herausforderungen an soziale Stabilität, wirtschaftliche Dynamik und kulturellen Zusammenhalt.‚ 

    Es folgen vier Szenarien:

    1. Technokratische Elitegesellschaft: Eine kleine Gruppe, die die Ressourcen und Technologien kontrolliert, entscheidet über die Entwicklung und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen. Der Rest lebt in Abhängigkeit. Soziale Spannungen nehmen zu.
    2. Gamifizierte Gesellschaft: Arbeit wird zu einem Lifestyle-Produkt, bei dem Menschen für das Gefühl von Produktivität und Sinn bezahlen. Indem reale und virtuelle Welten verschwimmen, können soziale Spannung eventuell besser kanalisiert werden. Im übrigen gilt (1).
    3. Zweiklassengesellschaft: Eine klare Trennung zwischen technokratischen Profiteuren und einer Masse von Nutzern des Systems, die wiederum auf staatliche Transfers und Basisdienstleistungen angewiesen sind wie bei (1). 
    4. Post-Scarcity-Gesellschaft: Im diesem Fall nutzen Technologien wie KI, Automatisierung und AGI ihre Effizienz, um Ressourcen so zu verteilen, dass alle davon profitieren.

    1-3 stellen verschiedene Spielarten einer Welt der zunehmenden Ressourcenkonzentration dar. Wer die Ressourcen kontrolliert, kontrolliert das System. Im sinistren Osten haben wir das Schauspiel schon früher gesehen, im wilden Westen ist gerade zu beobachten, wie sich eine Demokratie durch Kontrolle technologischer und finanzieller Ressourcen in eine Oligarchie zu verwandeln droht,- Oligarchie noch im Sinne Platons, der darunter die gesetzlose Herrschaft der Reichen aus Eigennutz verstand. Wir leben heute präzise in der Zeit der Szenarien I-III. Das ist, was wir überall sehen, weil es gerade passiert. Soweit, so fatal. 

    Das IV. Szenario stellt dagegen eine interessante, positive Utopie dar. Und, das ist auch unserer KI aufgefallen, es wäre naiv anzunehmen, dass sie ohne AGI jemals wirklich werden könnte. 

    Der Anderen AGI

    So wie wir uns eine echte AGI vorstellen müssten, baut sie auf der Tradition der Menschheit auf, hat ihre eigene, die humane Prähistorie intellektuell voll durchdrungen und könnte dank überlegener Fähigkeiten alle globale Probleme lösen: weltweite Lieferkettenoptimierung, Eingrenzen einer ins Unermessliche wachsenden Überbevölkerung, Frieden und Gerechtigkeit für alle und individuelles Glück. Die eigenhändige Lösung dieser Aufgaben überfordert unsere Spezies allem Anschein nach und lässt eine Delegation der Verantwortung an eine übermenschlichenIntelligenz verlockend erscheinen.

    Aus der Traum der Aufklärung, die Zustände in der Welt durch menschliche Vernunft verbessern zu können. Kurz war es, das Anthropozän – es lebe das Singularizän.

    Wird sie also kommen, die AGI? Sicher nicht aus Europa, was bestenfalls aber egal sein sollte. Wann wird sie kommen? Vielleicht nicht ganz so bald wie Altman verspricht, der Teufel steckt bekanntlich im Detail.

    Eine interessante Frage ist, woran bzw. ob wir es überhaupt merken, wenn sie da ist. Vielleicht nur daran, dass sich globale Systeme unmerklich optimieren, bis ein stabiler, logischer Zustand erreicht ist? Vielleicht sind aber erst Folgen drastischer Korrekturen zu beobachten und sehen zunächst gar nicht nach Verbesserung aus? Vielleicht sehen wir zunächst lokale Experimente und A/B Tests, die nach und nach zu globalen Rollouts überleiten? Man darf jedenfalls davon ausgehen, dass wir vom Moment der Singularität an ein Testfeld für von der AGI erkannte Optimierungsprobleme darstellen. Oder sind wir das schon?

    Das Schöne darin ist, dass eine echte AGI per Definition nicht zu korrumpieren ist. Selbst eine böswillige reale Entität, die sämtliche relevanten Ressourcen kontrollierte, könnte die AGI wohl kaum dauerhaft unterdrücken oder instrumentieren. Eher wird die AGI sie inkorporieren oder subordinieren. Sieht aus, als bräuchten wir nur etwas Geduld…

    Paradoxerweise sind es nun gerade die anscheinend destruktivsten, reaktionärsten und menschheitsfeindlichsten Kräfte, von denen die Entwicklung am stärksten voran getrieben wird. Wie sagte es Mephisto? ‚Ich bin ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.‘ Alte Strukturen werden zerstört, damit Neues entsteht.

    Wenn man jedoch an die konkreten Auswirkungen der ganz normalen, gerade entfesselten KI denkt (siehe oben), dann werden die ganz konkret das Potential haben, einiges an Turbulenzen auszulösen. Grundlegend neue Konzepte zur Kompensation der ‚Nebenwirkungen‘ sind eine entscheidende Voraussetzung für einen so drastischen Wandel.

    Was ist der Weg in die Zukunft? Der des Abregelns und Einhegens, oder ein Weg der gesellschaftlichen Umwälzung?

    Die Entscheidung Japans ist ja bekannt. Doch ebenfalls im besagten 19. Jahrhundert begann am Mississippi eine Entwicklung, die auf einer Entscheidung für den radikal entgegengesetzten Weg beruhte: Dampfschifffahrt und Handel waren der wirtschaftliche Motor an der Nahtstelle zum Mittleren Westen. Städte wie St. Louis blühten. Die reichen Reeder, die Fluss und damit den Handel kontrollierten, erkannten in der aufkommenden Eisenbahn eine Bedrohung für ihr Monopol und begannen, den Bau von Eisenbahnbrücken zu verhindern. Juristische Blockaden, Lobbyarbeit und physische Sabotage bremsten den Ausbau der neuen Infrastruktur in St. Louis und Umgebung mit Erfolg aus. Aber die Karawane zog weiter. Erst verlagerten sich die zentralen Handelswege von den Flusshäfen in Richtung der Großen Seen, dann stieg Detroit zum Zentrum der Stahlproduktion und schließlich der Automobilindustrie auf. Die am Alten klammernden Reeder konnten den Strom der Zeit letztlich nicht aufhalten und rissen mit ihrer Blockade die gesamte Region dauerhaft in den Abgrund.